
Radfahren ist gesund, günstig, umweltfreundlich – und dennoch bleibt es für viele Menschen in Deutschland ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Wer regelmäßig mit dem Fahrrad unterwegs ist – sei es zur Arbeit, zur Schule oder einfach in der Freizeit – weiß: Das Radwegenetz ist in vielen Städten ein Flickenteppich. Gerade in einer Stadt wie Bielefeld wird schnell klar: Zwischen politischem Anspruch und gelebter Realität klafft noch immer eine gefährliche Lücke.
Deutschland – Fahrradland im Entstehen?
Deutschland hat sich in den letzten Jahren viel vorgenommen. Im „Nationalen Radverkehrsplan 3.0“ der Bundesregierung wird eine klare Vision formuliert: Bis 2030 soll Deutschland ein „Fahrradland“ werden. Doch zwischen Strategiepapieren und der tatsächlichen Umsetzung vor Ort liegen Welten. Der aktuelle ADFC-Fahrradklima-Test 2024 zeichnet ein durchwachsenes Bild: Zwar ist das Fahrradklima bundesweit leicht verbessert – aber nur auf niedrigem Niveau. Die Gesamtnote liegt bei 4,0 – also „ausreichend“.
Besonders kritisiert werden schlechte oder fehlende Radwege, gefährliche Kreuzungen und mangelnde Sicherheit im Straßenverkehr. Nur wenige Städte schaffen es, mit innovativen Konzepten wie Radschnellwegen, durchgängigen Netzen oder verkehrsberuhigten Zonen wirklich zu überzeugen.
Und Bielefeld? Ein Netz mit vielen Löchern
Auch in Bielefeld gehört das Fahrrad längst zum Stadtbild. Doch wer hier auf zwei Rädern unterwegs ist, muss vor allem eines mitbringen: Geduld – und starke Nerven. Zwar gibt es punktuell Verbesserungen, etwa durch den Umbau einzelner Straßenabschnitte oder die Einführung von Fahrradstraßen. Aber das Grundproblem bleibt: Das Radwegenetz ist weder durchgängig noch wirklich sicher.
Viele Radwege enden plötzlich im Nichts, wechseln abrupt von der Straße auf den Gehweg – oder verschwinden komplett. Das sorgt nicht nur für Frust, sondern auch für echte Gefahr. Gerade an größeren Kreuzungen oder in engen Innenstadtbereichen fühlen sich viele Radfahrende schlichtweg nicht ernst genommen.
Beispiel Nahverkehr: Mit dem Rad im Gepäck – oder eben nicht
Ein weiteres, oft unterschätztes Problem ist die Mitnahme von Fahrrädern im ÖPNV. Wer wie ich von Bielefeld über Hannover nach Celle reisen möchte, steht schnell vor einer absurden Situation: Zwar gibt es auf dem Papier ein Angebot zur Fahrradmitnahme – aber keine Garantie. Im konkreten Fall war es mir kürzlich nicht möglich, ein Ticket zu buchen, bei dem die Mitnahme meines E-Bikes auch wirklich zugesichert war. Ergebnis: Rad in den Kofferaum und wieder Auto gefahren.
Solche Erlebnisse sind leider keine Ausnahme. In vielen Zügen der Deutschen Bahn ist die Fahrradmitnahme zwar grundsätzlich möglich – aber nicht planbar. Reservierungspflichtige Stellplätze sind oft schnell ausgebucht, und im Regionalverkehr ist das Prinzip „first come, first served“ ein täglicher Nervenkitzel. Wer mit Familie, Gepäck und Rädern unterwegs ist, hat da schnell verloren.
Warum es besser werden muss – und zwar schnell
Die Verkehrswende ist längst keine ideologische Frage mehr, sondern eine Notwendigkeit. Klimawandel, steigende Lebenshaltungskosten, überlastete Innenstädte – all das verlangt nach neuen Mobilitätskonzepten. Und das Fahrrad spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Was also fehlt? Vor allem Mut zur konsequenten Umgestaltung. Dazu gehört:
- Ein durchgängiges, sicheres Radwegenetz, das nicht an der Stadtgrenze aufhört.
- Mehr Fahrradstraßen mit Vorrang, statt Kompromisslösungen, die Radfahrer neben parkenden Autos durchquetschen.
- Verlässliche Verknüpfungen mit Bus und Bahn, inklusive garantierter Fahrradmitnahme und Ausbau von Bike+Ride-Angeboten.
- Investitionen in Infrastruktur, statt bloßer Symbolpolitik mit bunten Logos oder Leihfahrradsystemen ohne Netz.
- Ein echter Perspektivwechsel in der Stadtplanung: Wer mit dem Rad unterwegs ist, muss nicht weniger Komfort und Sicherheit erwarten dürfen als ein Autofahrer.

Bielefelds Chance: Vom Nachzügler zum Vorbild?
Bielefeld hat das Potenzial, deutlich fahrradfreundlicher zu werden. Die Lage am Teutoburger Wald, viele junge Menschen und eine wachsende E-Bike-Community bieten beste Voraussetzungen. Mit dem Mobilitätskonzept 2030+ will die Stadt ein Zeichen setzen. Doch noch bleibt vieles unkonkret – und ambitionierte Ziele allein reichen nicht aus.
Was es braucht, ist ein echter Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, regelmäßige Evaluierung der Fortschritte und vor allem: Umsetzungen, die im Alltag spürbar sind.
Der Appell: Jeder Tritt zählt
Dieser Artikel soll keine Abrechnung sein. Vielmehr ist er ein Aufruf zum Umdenken. Wer das Fahrrad als ernsthafte Alternative zum Auto etablieren will, muss Rahmenbedingungen schaffen, die dazu einladen – nicht abschrecken.
Und wir als Radfahrende? Auch wir haben eine Stimme. Ob über Petitionen, Social Media, Gespräche mit der Kommunalpolitik oder einfach dadurch, dass wir sichtbar sind: Jeder Tritt in die Pedale ist ein Statement für eine lebenswertere Stadt.
Vielleicht ist nicht jede Strecke mit dem Rad machbar. Aber jede Fahrt, die wir aufs Rad verlagern – sei es zur Arbeit, zum Supermarkt oder einfach zur Eisdiele – ist ein Schritt in die richtige Richtung. Für die Umwelt, für unsere Gesundheit, für unsere Städte.